Das politische Nachtgebet auf dem Benediktshof

Hunger nach Sinn
Ich werde manchmal gefragt,
warum ich denn „immer noch“ für Gerechtigkeit,
Friede und die gute Schöpfung eintrete.
„Immer noch?“ frage ich zurück,
wir fangen doch gerade erst an,
aus der Verbundenheit mit dem Leben heraus,
zu kämpfen, zu lachen, zu weinen.

Wir können uns doch nicht auf das geistige Niveau
des Kapitalismus zurückschrauben
und ständig „Sinn“ mit „Erfolg“ verwechseln.

Das ist eine lebensgefährliche Verwechselung,
wenn wir das Leben zurückstutzen
auf das Machbare und das,
was sich konsumieren lässt.
Meine Tradition hat uns wirklich mehr versprochen!
Ein Leben vor dem Tod, gerechtes Handeln
und die Verbundenheit mit allem,
was lebt, die Wölfe neben den Lämmern und Gott nicht oben
und nicht später, sondern jetzt und hier.
Bei uns, und in uns.

Dorothee Sölle

 

„Immer noch“. Ja auch wir, das Vorbereitungsteam des Politischen Nachtgebets am Benediktshof, treffen uns immer noch regelmäßig. Allerdings seit dem letzten Herbst digital. Leider sind ja schon lange keine Treffen in der besonderen Atmosphäre des Benediktshofes mehr möglich.

Seit 2,5 Jahren gehöre ich zur Vorbereitungsgruppe. Gemeinsam mit vielen anderen habe ich einen biografischen Film über Dorothee Sölle (D.S.) gesehen. Wir waren begeistert von ihrer Klarheit, ihrer Sprache und dem deutlichen Benennen von Missständen in der Welt.

Die Verbindung von Mystik und Widerstand bedeutet für D.S. ein Nein zur Welt, wie sie jetzt in ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unzulänglichkeiten ist. Das von ihr mitgetragene, politische Nachtgebet in Köln hat uns inspiriert, dieses wieder aufleben zu lassen.

Beim ersten Treffen entschieden sich alle Anwesenden aus einer Vielzahl an Themen für den Bereich: Bewahren der Schöpfung.

Nun stand nach 2 Jahren im Herbst die Frage an: wie wird es weitergehen, was ist das neue Thema, wie werden wir es anbieten? Wir einigten uns auf das Thema: Bewahren der Schöpfung - der Mensch.

Lange konnten wir keinen Ansatzpunkt finden, wurden ungeduldig, es war anstrengend, manchmal kamen Gedanken der Hoffnungslosigkeit. Aber wir merkten auch, wir kommen uns näher, wir durchlaufen einen Prozess der persönlichen Entwicklung und des Bewusstwerdens persönlicher Einstellungen und Standpunkte. Oft suchten wir in dem Buch von D.S.: „Mystik und Widerstand“ nach Hilfestellung.

Besonders wertvoll ist für uns das Wissen, wir haben eine gemeinsame Basis: die Kontemplation und der Widerstand. Unsere Gewissheit ist gewachsen, dass wir in der Verbindung mit der Schöpfung und aus der Verbundenheit mit dem Leben den richtigen Weg gehen werden. (Lisa)

Sich mit einem Thema intensiv zu beschäftigen, Missstände aufzudecken, klar Stellung zu beziehen, da kommt uns auch schon einmal kräftiger Gegenwind entgegen. Manch einer empfindet es als Anfeindung und dies sogar im Freundeskreis.

Wie gehen wir mit dem Widerstand, den wir leisten und mit dem, was uns da entgegenschwappt als Gegenwehr, um?

Nietzsche warnte einst, wer mit Ungeheuern kämpfe, möge zusehen, dass er nicht selbst zu einem werde.

In unserer heutigen Welt wird mit politisch Andersdenkenden oft nicht argumentiert und gestritten, sondern es wird diffamiert. Doch Demokratie lebt vom Streit der Meinungen und Positionen in der Öffentlichkeit. Daraus soll ja zum einen die Willensbildung erwachsen, die die Geschicke eines Gemeinwesens bestimmen kann. Zum anderen erfahren wir uns in diesem Ringen um Positionen und Alternativen als Demokraten. Und dort gibt es das Recht, anderer Meinung zu sein und dies auch zu äußern, solange dabei nicht die Grundrechte anderer verletzt werden.

Es ist ein schmaler Grat vom legitimen Recht auf andere Meinung zur Abwertung der Meinung Andersdenkender. So ist es oft schwer, diese Unterscheidung auszuhalten und den eigenen Standpunkt trotzdem leidenschaftlich zu verteidigen.

So entdeckten wir alle – mehr oder weniger – wie wichtig und hilfreich die Kontemplation als Gegenpol für die Aktivität, den Widerstand ist. Dorothee Sölle sagt dazu: „Wir beginnen den Weg zum Glück nicht als Suchende, sondern als schon Gefundene.“ Immer wieder finden wir gemeinsam Zeit für Reflektion, Meditation und Gebet. Dies schafft in uns selbst einen Raum von Freiheit und es entsteht eine Verbundenheit untereinander. Diesen Raum der Freiheit zu besitzen, den niemand uns entreißen kann, weil Gott dessen Ursprung und Bürge ist.

So stellen wir immer wieder fest, wenn das Tun mit der eigenen, inneren Einstellung stimmig ist, dann erwächst daraus eine innere Kraft, die uns unabhängig davon macht, ob unser Tun Zustimmung findet oder Erfolg hat.

 

Eine innere Stärke

Ich bin seit vielen Jahren in der Friedensbewegung engagiert, und die Frage, die ich in diesem Zusammenhang am häufigsten gestellt bekomme, ist natürlich die nach dem Erfolg. Welchen Sinn hat das alles? „Ihr werdet ja doch nichts ändern!“ ist die Form, in der uns die Frage Meister Eckharts „Warum wirkst du deine Werke?“ begegnet. Es ist mir immer deutlicher geworden, dass angesichts eines gewissen Zynismus, der objektiv oder sogar subjektiv sein kann, Begründungen für bestimmte Formen des Handelns gar nicht verfangen. Ein normal-forscher Journalist, der außer den Fragen „Was bekommst du dafür, wer bezahlt dich?“ und „Was erreichst du damit?“ nichts im Kopf hat, kann für ein so aussichtsloses Unterfangen wie den Kampf um mehr Gerechtigkeit und Frieden bestenfalls Mitleid übrig haben; die nächste Niederlage ist uns gewiss.

Das allein am Erfolg orientierte Denken ist wesentlich zynisch. Aber die “Ros ist ohn Warum“, und bestimmte Dinge muss man tun “sunder warumbe“. Auch wenn sie jetzt keinen Erfolg haben. Es gibt eine innere Stärke des Im-Frieden-Seins, die die Zweckrationalität des Handelns nicht zum alleinigen Maßstab machen kann. Alles gewaltfreie Handeln in einer Welt der Gewalt hat in diesem Sinn an dem „ohn Warum“ der Rose Anteil.

Dorothee Sölle

 

Unser Tun und Handeln in einen spirituellen Rahmen zu setzen, entlastet, alles selbst in der Hand haben zu müssen. So ist es uns wichtig, in der Gestaltung des politischen Nachtgebetes neben einem politischen Thema der Meditation, dem Gebet und Gesang Raum zu geben.

Der Weg geht weiter:

Am Freitag 25.06.2021 um 18 Uhr war das Politische Nachtgebet im Garten des Benediktshofs zum Thema "Soziale Gerechtigkeit braucht ein Miteinander" mit der Referentin Martina Hartong von der Fairteilbar Münster

Für das Jahr 2021 sind noch zwei weitere politische Nachtgebete am 3. September und am 19. November geplant. Das Vorbereitungsteam freut sich über weitere Interessierte, um neue spannende Themen zu erarbeiten.

Christiane Reinhard und Lisa Vogelsang