Benediktshof Münster

Festvortrag von Christoph Gerling zum 35. Jubiläum

Christoph Gerling, Mitbegründer des Benediktshofes, hat in seinem Festvortrag die Geschichte des Benediktshofes lebendig werden lassen.

Wir leben in einer Zeit, in der bodenständige, geistige und spirituelle Orte sehr wichtig sind. An oder in diesen Orten ist es uns möglich durch Teilnehmen und Mich-Einlassen auf entsprechende Angebote eine neue Sicht der eigenen Lebenssituation zu erfahren. In jedem von uns gibt es eine Quelle, die mit Gott oder dem Göttlichen verbunden ist. Wenn wir damit in Berührung kommen, kann das für uns tiefgreifende Wandlungsprozesse auslösen. Gott wirkt in uns und vielleicht haben wir schon mal gehört, dass er in uns spricht und sagt: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen gefunden“.

Ich freue mich hier heute sprechen zu dürfen. Ich bin Anfang März in eine Auszeit gegangen, durch Knie- und Rückenbeschwerden mit entsprechenden OP’s ausgelöst, aber nach 35 Jahren Benediktshof für mich notwendig und hilfreich. Im Oktober habe ich meine Kursarbeit wieder aufgenommen und jetzt im November steige ich wieder voll in meine Begleitungsarbeit ein. Ich möchte dir Jochen Elbertzhagen und auch dir Heinz Georg Surmund für die einführenden Worte danken. Ludolf war 20 Jahre erster Vorsitzender des Benediktshofes. Von 2006 bis jetzt hatte ich dieses Amt inne und ich freue mich, dass du Jochen jetzt den ersten Vorsitz des Benediktshofes übernommen hast.

35 Jahre Benediktshof Eine christliche Meditations- und Begegnungsstätte

Der Benediktshof war schon immer in Bewegung und es ist gut und wichtig, dass er in Bewegung bleibt. Der heutige Tag gibt Gelegenheit in diese Bewegung Einblick zu geben. Der Benediktshof ist eine christliche Meditations- und Begegnungsstätte. Seine Aufgabe ist im Namen erkennbar. Dazu einige Gedanken: In unserer Satzung steht: Die Bestimmung des Benediktshofes ist die ganzheitliche, prozessorientierte, seelsorgliche und spirituelle Wegbegleitung der Gäste des Benediktshofes in ihrer Sinnsuche, das heißt, Jugendliche und Erwachsene in ihrer menschlichen Reifung initiatisch weiterzubilden und in Sinnkrisen auf dem Individuationsweg zu beraten und hilfreich zur Seite zu stehen. Leitbild dieser Art von Wegbegleitung ist das christliche Gottes- und Menschenbild. Die Methoden der seelsorglichen Wegbegleitung sind die Initiatische Therapie nach Prof. Karlfried Graf Dürckheim und Dr. Maria Gräfin Dürckheim-Hippius sowie die Kontemplation/Meditation im Geiste von Pater Lassalle SJ.

Das zentrale Anliegen in unserer christlich initiatischen Wegbegleitung war und ist, dass durchsichtig wird, dass das ganze Leben ein Abbild der Gegenwart Gottes ist. Die Schöpfung sind die geöffneten Arme und das geöffnete Herz Gottes im Anblick des Mitmenschen. Es geht uns um die Hinführung zur authentischen Begegnung mit mir selbst, untereinander und um die Begegnung mit Jesus Christus in der Meditation und in den Gottesdiensten. Sie sind die Grundpfeiler des Benediktshofes geworden. Der Aufbau war und ist spannend und krisenreich. Unsere gemeinsame Vision hat uns bis jetzt durchgetragen: Aus der Kraft des steten Neuanfangs leben. Mit diesem Satz richten wir uns immer wieder aus. Alles, was an Verletzungen, an Enttäuschungen im Umgang miteinander geschieht, lässt sich von dort her mit dem inneren „Ja“ zu unserer tiefsten Realität, nämlich der göttlichen Realität immer wieder verwandeln. Diese göttliche Realität ist unser eigentlicher Boden.

Am Anfang hieß der Benediktshof „Haus am Mauritz-Lindenweg“. Es war damit gemeint, dass die Gäste auf ihrem Menschwerdungsweg bei uns einkehren konnten, um Impulse für ihren weiteren inneren Weg mitnehmen zu können. Es gab 2 Bereiche: Ludolf leitete den Bereich: „Zentrum für geistliche und psychologische Beratung und Begleitung“ Seine Ausbildungsgrundlage dafür war sein Theologiestudium, der Magisterabschluss in Pastoralpsychologie und die Ausbildung in Rütte. Den Bereich, den ich leitete hatte ich „Schule für initiatisches Leben“ genannt. Meine Grundlagen dafür waren meine Ausbildung in Rütte und mein kunsttherapeutisches und kunstpädagogisches Studium in Ottersberg. Wir waren beide, Ludolf als 1. Vorsitzender, ich als 2. Vorsitzender allein unterschriftsberechtigt. Das war unser Start.
Viele Menschen haben sich uns angeschlossen. Schon bald legten wir die beiden Bereiche zusammen und aus dem Haus am Mauritz-Lindenweg wurde der Benediktshof. Es gab die Zeit in Münster im Mauritz-Viertel. Wir haben dort von 1986-1997 gelebt und gearbeitet. Seit 1997 sind wir auf dieser Hofstelle. Es ist Erstaunliches entstanden, sowohl äußerlich als auch innerlich. Man sehe all die Häuser mit ihren Räumlichkeiten, die aus unserer eigenen Hände Arbeit und unglaublich vielen Spenden hergerichtet wurden. Der Benediktshof ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der weder staatliche noch kirchliche Zuschüsse bekommt. Ausnahme war der einmalige Zuschuss von 370.000 € vom Bistum Münster für diesen Umbau der Scheune. Bis zum Sommer 2011 haben Ludolf und ich den Benediktshof gemeinsam geleitet. Danach hat Ludolf sich aus der Leitung zurückgezogen und wirkte seitdem als Spiritual des Benediktshofes. So inspirierte er weiter den Hof, die Mitarbeiter, die Kerngruppen und Gäste. Der Weg für weitere Entwicklungen wurde möglich. Die Erweiterung des Benediktshofes um die Scheune eröffnete ein neues Wegstück des Benediktshofes. Der engere Mitarbeiterkreis, damit meine ich unser Organisationsteam und die Mitarbeiter, die unsere Gäste begleiten, den Vorstand des Trägervereins, dessen 5 Mitglieder sich sehr verantwortlich um die inneren und äußeren Rahmenbedingungen kümmern und den Vorstand des Fördervereins, der mit einigen seiner Mitglieder uns besonders unterstützt, hat in einer besonderen Weise am Umbau nicht nur der Scheune, sondern des ganzen Benediktshofes mitgewirkt und mitgearbeitet.

Ludolf ist im November 2018 gestorben. Ludolf war ein charismatischer Mensch, der den Benediktshof auf besondere Weise geprägt hat. Mit seinem Tod wurde immer wieder die Frage gestellt: „Wie geht es ohne Ludolf weiter“. Diese Frage hatte ich nicht. Meine Frage war, wie kann die von Ludolf so besonders geprägte Liturgie im Benediktshof weitergehen? Für mich war damals aber sehr wichtig die Verbindung zum Kloster Gerleve nicht zu verlieren und ich hatte ein langes und gutes Gespräch mit Abt Laurentius Schlieker OSB. Er sicherte mir weiter Unterstützung von seiner Seite zu. Dann habe ich Kontakt mit dem Pfarrer unserer Gemeinde Jürgen Streuer aufgenommen. Es ist eine sehr lebendige und fruchtbare Beziehung entstanden. Das Projekt der Könige macht das gerade deutlich. Es entstand ein sehr kreativer Liturgiekreis unter der Leitung von Birgit Böddeling, der die Ökumenische Ausrichtung unseres Hofes wunderbar begleitet! Inzwischen sind hier im Benediktshof Teams entstanden, die den Hof nicht nur mittragen, sondern auch anfangen ihn mitzuprägen. Für dieses Engagement bin ich zutiefst dankbar…..
Heute Nachmittag gehen wir auf diese Teambildung und Teamarbeit im Benediktshof noch näher ein.

Jetzt zu unserer christlich-initiatischen Wegbegleitung. Wie verstehen wir das Christliche?

Im christlich religiösen Raum sind wir ausgerichtet auf Jesus Christus und von dort her gestalten wir unser Leben, beziehungsweise auch unsere Regeln, wie wir uns im sozialen Kontext verhalten wollen. Wir leben im Abendland, das von dieser christlichen Kultur auf eine ganz besondere Weise geprägt ist. Die humanistischen Werte, nach denen sich die westliche Welt ausrichtet, sind sicherlich sehr beeinflusst von diesem Jesus Christus und den christlichen Kirchen. Der Begriff christlich ist in unserer Gesellschaft inzwischen eher negativ besetzt. Das ist auch nachvollziehbar, wenn man sich die Geschichte des Christentums anschaut (Kreuzzüge, Hexenverbrennung und jetzt auch die Missbrauchsskandale). Darauf möchte ich hier aber nicht weiter eingehen. Mir ist wichtig, hier an dieser Stelle besonders deutlich zu machen, dass wir in unserem sozialen Kontext unsere Kirchen dringend brauchen. Allerdings ohne die entsprechenden Reformen entziehen die Kirchen sich selber ihren Boden. Wie verstehen wir hier im Benediktshof, abgesehen davon, dass Gottesdienste hier einen nicht auflösbaren Platz haben, unsere christliche Ausrichtung?

In den folgenden Ausführungen habe ich mich durch Claus Eurich inspirieren lassen, einem deutschen Philosophen, Publizisten, Kontemplationslehrer und Hochschullehrer für Kommunikation und Ethik aus seinem Vortrag „Wir ist Kommunikation“. Was sind unsere christlichen Werte? Was hat Jesus für Werte gelebt? Denn mit ihm, durch ihn und auf ihn hin sind doch diese Werte ausgerichtet. Eine christlich geprägte Weltanschauung ist immer beeinflusst durch die Bibel und Jesus Christus. Im Neuen Testament spricht Jesus, dass es dabei nicht so sehr auf das Tun, sondern vor allem auf die Beweggründe des Handelns ankommt. Jesus steht für die Werte Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe. Der bedeutende Kirchenlehrer Thomas von Aquin hat sich in seinen Arbeiten damit beschäftigt, welche Voraussetzungen ein Mensch mitbringen muss, um diese Werte leben zu können. So entstand seine Tugendlehre, die von den 4 klassischen oder Kardinal-Tugenden bei Sokrates und Platon inspiriert ist.

  1. Klugheit oder besser Weisheit: damit ist nicht unser Intellekt gemeint, sondern die Fähigkeit sich von der inneren Quelle her ganzheitlich inspirieren zu lassen. Sie kann uns zur Glückseligkeit führen. Mit Glückseligkeit ist das tiefe Ruhen in unserem Selbst gemeint, was wiederum mehr ist als das, was wir als Person sind.

  2. Gerechtigkeit: einmal geht es darum, was jeder einzelne Mensch erbringen muss damit das Kollektiv leben bzw. überleben kann. Es ist die Ausrichtung vom einzelnen Menschen auf die Gemeinschaft zu. Zum anderen geht es darum, was von der Gemeinschaft erforderlich ist, was sie auf den Einzelnen zubringen muss, damit das Leben des Einzelnen seinen Möglichkeiten gemäß existieren und sich entwickeln kann. Diesen Aspekt der Gerechtigkeit kann man heute auch weiterdenken, in einen Raum hinein über das menschliche Leben hinaus. Nämlich, was das Leben braucht, um sich weiterentwickeln zu können, um zu überleben in einer Zeit, in der wir uns immer wieder bewusst machen müssen, dass täglich mehr als 200 Arten auf unserem Planeten irreversibel von diesem Planeten verschwinden.

  3. Tapferkeit: Thomas von Aquin sagt dazu: Das, was du von deiner Weisheit herkommend einmal in deinem Leben als angemessen und richtig erkannt hast und zwar in deiner Tiefe, dahinter darfst du nie zurückfallen und dafür musst du einstehen mit deinem Leben. Er definierte Tapferkeit als die innere Haltung, für die wir bereit sein müssen mit unserer gesamten Existenz einzustehen.

  4. Maß: Was brauchen wir um zu leben? Dazu müssen wir immer wieder neu bestimmen, was notwendig ist und was überflüssig ist.

Wie können diese 4 Tugenden unseren Alltag ausrichten?

Im Buddhismus gibt es ähnliche Werte. Ich bleibe aber mal in unserem christlichen Abendland und zitiere Kant: „Handle so, dass das, was du tust ein allgemeines Gesetz sein könnte“. Ich finde sehr spannend, dass Claus Eurich dieses Zitat mit dem Gesetz der Achtsamkeit vergleicht. Sei in jedem Moment so achtsam bezogen auf deine Gedanken, Gefühle, deine Worte und deine Taten, dass sie gleichsam für alle gut sind und dass du das verallgemeinern kannst. Es geht nicht darum, von den Folgen her zu denken, sondern von der Intention des Menschen, aus der inneren Haltung heraus, mit der ich etwas tue, und dass ich an dieser Haltung immer wieder korrigierend arbeite. Handle immer so, dass alles, was du tust der Permanenz echten menschlichen Lebens dient (Jonas). Und es geht darum, unser eigenes Schicksal in der ganz konkreten jetzigen Situation anzunehmen und nicht zu jammern: heute Morgen war nicht gut, ich kann jetzt nicht … Nein, es ist jetzt so, wie es ist und es gibt hier in meiner Situation Möglichkeiten. Es gilt sie zu sehen, zu erkennen und sie ins Leben zu überführen. Mir kommen dazu die Worte Jesu: „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“. (Luk 9.23). Unser Lebensweg ist eine riesige Herausforderung… In dieser christlichen Ausrichtung sind schon die Grundlagen unserer initiatischen Arbeit eingebettet.

Was ist jetzt eigentlich Initiatisch? Ein Zitat von Professor Karlfried Graf Dürkheim, der mit seiner Frau Dr. Maria Hippius-Gräfin Dürkheim die initiatische Therapie entwickelt hat. " Initiatisch '' kommt von 'initiare': das Tor zum Geheimen öffnen. - Was ist das Geheime? Das sind wir selbst in unserem tiefsten Kern, in unserem Selbst, in unserem Wesen. Mit Wesen meinen wir hier die Weise, in der das überweltliche göttliche Sein in jedem Menschen in individueller Weise anwesend ist und in ihm und durch ihn hindurch manifest werden möchte in der Welt: in der Weise, die Welt wahrzunehmen, zu gestalten und zu lieben." (Dürckheim, Karlfried (1982): Der zielfreie Weg. Im Kraftfeld initiatischer Therapie, S. 11)

Dürckheim spricht in seinen Ausführungen zur initiatischen Therapie immer wieder vom Wesen und Welt-Ich. Das ist ein Modell, mit dem er die Dynamik des Menschseins und Menschwerdens gut darstellen konnte.
Schauen wir uns die 4 Strategien des Welt-Ichs an. Mit unserem Welt-Ich versuchen wir in unserem Leben zurecht zu kommen. Unser Leben so einzurichten, das es uns möglichst gut geht. Das kann sehr gut funktionieren, wenn ich aber in existenzielle Krisensituationen komme, stoße ich mit meinem Welt-Ich an Grenzen. Unser Welt-Ich hat Strategien, mit denen es versucht, sich vor Verletzungen zu schützen. Es hat die Tendenz, immer wieder andere zu dominieren, zu beweisen, dass es recht hat; zu beweisen, dass der andere unrecht hat. Mit unserem Welt-Ich versuchen wir die eigene Schuld zu vertuschen und sorgen dafür, dass der andere sich schuldig fühlt…
Die 1. Strategie ist das Beschuldigen. Indem wir den Fehler beim anderen suchen, schützen wir uns vor unangenehmer Selbsterkenntnis. Wir blenden unseren Anteil an dem Beziehungs-geschehen aus, indem wir den Blick von uns weg auf den anderen richten mit den verschiedenartigsten Anschuldigungen, wie: Du bist schuld, dass diese Situation so entstanden ist! Ich habe damit nichts zu tun und verbitte mir, dass du so mit mir sprichst. Warum greifst du mich so an? Warum verletzt du mich? Das ist nicht in Ordnung! …. Eine Strategie die jeder von uns sicher kennt. Diese Reaktionen geschehen schnell, wenn es uns selber nicht so gut geht oder wir im Stress sind.
Wenn es uns etwas besser geht und wir etwas mehr inneren Spielraum haben, gibt es eine 2. Strategie, mit der unser Welt-Ich versucht, sich vor Verletzungen zu schützen. Wir sehen, dass es dem anderen nicht so gut geht. Er ärgert sich und greift uns an. Wir denken: der andere hat einen schlechten Tag oder eine schlechte Nacht gehabt. Er ist in einer schwierigen persönlichen Lebenssituation. Wir sagen uns dann: dem anderen geht es im Augenblick nicht so gut, ich kann ihn verstehen und darum verletzt mich sein Verhalten mir gegenüber nicht so sehr. Aber bei manchen Verletzungen hilft auch das nicht.
Es gibt eine weitere, 3. Strategie des Welt-Ichs: Wir suchen nach einer tieferen Bedeutung. Ein Freund sagt uns z.B.: „Du hast dich unmöglich benommen, deshalb möchte ich mit dir nichts mehr zu tun haben. Ich möchte dich nicht mehr sehen“. In dieser Betroffenheit können wir nach einer tieferen Ursache suchen: Was mache ich grundsätzlich falsch? Hat das was mit meinem Schicksal zu tun? Bin ich so schlecht? Ich muss mich grundsätzlich ändern! Einige Menschen fragen sich vielleicht sogar: Was habe ich in meinem vorherigen Leben falsch gemacht. Aber der Schmerz bleibt…
Eine letzte, 4. Strategie bleibt dem Welt-Ich noch: Wir gehen zu McDonald und essen etwas oder wir setzen uns vors Fernsehen. Wir lenken uns ab, um unsere Verletzungen nicht mehr zu fühlen. Letztlich ein hilfloses Unterfangen.
Soweit die Strategien unseres Welt-Ichs.
Alle Strategien sind grundsätzlich gut. Sie helfen uns im Alltag zurecht zu kommen. Aber es ist sehr sinnvoll sie zu erkennen und sich klar zu machen, dass die Verletzung von außen, durch Erklärungen oder allein vom Bewusstsein nicht auflösbar ist! Es geht darum, dass sich unsere innere Vertrauenshaltung zum Leben und zu uns selbst vertieft. Diese innere Vertrauenshaltung und das damit verbundene Gehaltenwerden betrifft die transzendente Ebene, wo man sich als Mensch aufgenommen und eingebunden fühlt in etwas Umfassendes. Das Gehaltenwerden ist biographisch durch die Mutter und unser frühes soziales Umfeld geprägt. Eine Grundvoraussetzung, um aus unserem Wesen leben zu können, ist es, sich auf den Weg nach Innen zu begeben, ist die Bereitschaft sich selbst wahrzu-nehmen. Indem wir uns auf unsere eigenen Gefühle wie Freude, Lust, Schmerz einlassen, kommen wir auch mit unserem Mangel und unseren Verletzungen in Berührung. Diese Gefühle versuchen wir gewöhnlich zu verdrängen.
Es gibt drei Arten des Leidens: Der physische oder körperliche, der psychische und der spirituelle Schmerz.
Der letzte ist fundamental. Er wird als Abtrennung vom Leben, als Ausgeschlossensein vom Urvertrauen erlebt. Um zu überleben haben wir bestimmte Seelenanteile wie zum Beispiel Wut, Schmerz, Trauer, Impulsivität, Sexualität verdrängt. Es sind vor allem Seelenanteile, die von unserem sozialen Umfeld, von unseren Eltern, Lehrern oder auch Priestern nicht angenommen werden konnten und vielleicht sogar bekämpft wurden. Es geht nun darum, diesen Seelenanteilen zu ermöglichen, sich mit uns wieder neu zu verbinden. Das geschieht dadurch, dass wir diese Gefühle in uns zulassen und nicht den Situationen nachgehen, die diese Gefühle ausgelöst haben. Indem wir bereit sind die Schmerzen, die Wut, die Trauer, in uns zu fühlen, geben wir dem Seelenanteil die Erlaubnis, sich zu zeigen.
In der Spirituellen Wegbegleitung können diese verdrängten Emotionen wieder ins Bewusstsein und ins Gefühl kommen und sich langsam lösen. Aber Vorsicht, es geht hier nicht nur um das Reflektieren dieser Gefühle. Es geht nicht nur um die Frage: „Warum fühle ich so?“ Diese Frage kann uns vom Eigentlichen wegführen. Es geht um das Einlassen auf diese Gefühle. Das bedeutet, wir wenden uns diesen Gefühlen unmittelbar zu, indem wir sie in unserem Körper wahrnehmen. Wir brauchen dafür den Raum des vertrauens-vollen Gehaltenseins - Ruhe und Stille, so dass wir nach innen lauschen können. Wir lassen uns dabei nicht auf den Auslöser dieser Gefühle ein, sondern versuchen bei unserem aktuellen Gefühl zu bleiben. Zum Beispiel bei Angst vor einer Prüfung, löse ich die Angst bewusst von der bevorstehenden Prüfung ab und nehme mich als Jemanden wahr, der ängstlich ist. Jetzt kann ich zu mir sagen: Es ist in Ordnung, dass ich Angst habe. Ich nehme mich in meiner Ängstlichkeit an, ich bewerte mich nicht. Wenn uns das gelingt, kann sich das Angstgefühl wandeln. So können wir diesen abgespaltenen Seelenanteil, unser inneres ängstliches, verletztes Kind, zulassen. Das Göttliche, das Urvertrauen, das uns immer umfängt, kann uns dann heilen. Der Schmerz und die Angst können sich in dem Augenblick in Vertrauen und Dankbarkeit verwandeln, und zwar nicht nur bezogen auf die Angst vor der Prüfung, sondern grundsätzlicher. Das Urvertrauen in uns nimmt zu.

In den Medien der christlich-initiatischen Wegbegleitung wird diese Seelendynamik erfahrbar.

Die Meditation ist eine Möglichkeit sich auf diesen inneren Selbstwerdungs-prozess einzulassen. Sie ist eine Möglichkeit zu lernen, mit uns selbst zu sein, ganz gleich wie es uns geht. Gleichzeitig sind wir im göttlichen Sein oder in der Gegenwart Gottes eingebettet. Sie kann im Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen praktiziert werden. Es geht darum, auf eine heilsame und achtsame Art und Weise innezuhalten und sich auf sich selbst einzulassen, so dass sich langsam ein immer tiefer werdendes Vertrauen zu uns, zu unseren Mitmenschen, zum Leben und zu Gott einstellt. In vier Schritten können wir in diese innere Haltung hineinkommen:

  1. Ich nehme war, dass ich atme und lasse mich ein auf die Atembewegung von Bauch- und Brustraum. Ich kann spüren das Bauch- und Brustraum sich ausdeh-nen und wieder in sich zusammensinken.
  2. Ich lasse das Bewusstsein zu, dass ich eingebettet bin in die göttliche Schöpf-ung, eingebettet bin in die Gegenwart Gottes.
  3. Ich nehme mich wahr mit allem, was an Gedanken Bildern und Gefühlen in mir ist. Es kann sein, dass es mir gut geht. Es kann aber auch sein, dass ich mich selbst gerade kritisch anfrage. Ich darf mich in den unterschiedlichsten Seelenaspekten (ich ärgere mich über jemanden, ich stelle mich selbst in Frage, ich habe Angst) wahrnehmen und versuche mich nicht zu bewerten. Ich gehe innerlich immer wieder einen kleinen Schritt zurück und nehme mich in dem wahr, was gerade ist.
  4. Mein Atemwort: ein ganz einfaches Atemwort ist das Ja. Ich kann das Ja im Aus- und Einatem immer wieder innerlich zulassen. In der Kontemplation ist ein Atemwort Jesus Christus.

(Du kannst jetzt einmal die Augen schließen oder so geöffnet lassen, dass du nach innen schaust. - Sitzen oder Stehen, deine Hände in den Schoß legen und eine Haltung einnehmen, die dir entspricht…

Nehme deine Atembewegung von Bauch und Brustraum wahr. Mit dem Einatmen dehnen sich Brust und Bauchraum aus. Mit dem Ausatmen sinken Brust und Bauchraum wieder in sich zusammen. Atemzug um Atemzug….

Du kannst bewusst 3-4 mal tief einatmen, so dass dein Bauch und Brustraum sich weiten und du dich richtig gut in diesen Bereichen spüren kannst. Mit dem Ausatmen kannst du dich loslassen, in deinen Leib hinein und zur Erde….

Als nächstes kannst du das Bewusstsein zulassen, dass du hier und jetzt eingebettet bist in die göttliche Schöpfung. Der Stuhl und die Erde tragen dich jetzt und der Raum um dich herum schützt dich….

Du kannst in dir alles, was du an Gedanken, Bildern und Gefühlen wahrnimmst, zulassen. Es geht nicht darum jetzt irgendetwas in dir festzuhalten. Du bist da und du atmest Atemzug um Atemzug….

Dann kannst du jetzt einen kleinen Schritt innerlich zurücktreten und dich seelisch wahrnehmen: wie bist du jetzt da? - ruhig oder unruhig, angespannt oder entspannt, vielleicht dreht sich auch ganz viel in deinem Kopf. Nehme dich in der Verfassung, in der du jetzt bist einfach nur wahr...

Egal ob es dir jetzt gut oder schlecht geht, versuche dich so anzunehmen. Wenn es dir jetzt gut geht, ist das Annehmen nicht schwer. Wenn es dir jetzt nicht so gut geht, fängt die eigentliche Übung an. Lasse dir Zeit, dich auf dich selbst und auf deine seelische Verfassung einzulassen. Ganz gleich, wie du dich fühlst. Versuche jetzt nichts zu lösen, sondern sage ja zu dir selbst. „So darf ich jetzt sein“. Und bleibe mit dir verbunden - Atemzug um Atemzug….. Es reicht, dass Du jetzt da bist und atmest.

……solange du es jetzt möchtest…..)

Im Benediktshof haben wir ein weiteres, wirklich ausgezeichnetes Medium. Es ist das Arbeitsexerzitium. Für unsere Einzelgäste und in unseren Meditationskursen gibt es die Aufgabe, 1 Stunde am Tag im Garten oder im Haus zu arbeiten. Es geht darum, das zu tun, was ich tue und mich dabei innerlich wahrzunehmen. Wenn ich also ein Fenster putze, bin ich mit mir und dem Putzen verbunden. Bei dieser Übung kommt es nicht darauf an, dass das Fenster anschließend sauberer ist als vorher, oder ich möglichst viele Fenster am Ende des Exerzitiums sauber gemacht habe. Wir alle haben sicherlich schon von Sisyphos gehört, der ganz aus dem Augenblick den Stein immer wieder, als wäre es das erste Mal, den Berg hoch-rollte. Wir können ihn uns als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Eine andere Möglichkeit sich auf diesen Prozess einzulassen sind die Kreativmedien auf dem Benediktshof. Das ist die Arbeit mit Tonerde, die Arbeit mit Aquarellfarbe, die personale Leibarbeit, das geführte Zeichnen, die Schwert-arbeit, das Bogenschießen, der Tanz, die Arbeit mit der Stimme und andere. Ich möchte am Beispiel des Geführten Zeichnens Einblick in unsere Arbeitsweise geben. Das Geführte Zeichnen hat Frau Dr. Maria Hippius-Gräfin Dürckheim aus der Graphologie entwickelt. Für sie geht es mit ihren eigenen Worten „im Geführten Zeichnen um eine methodisch aufgebaute Entwick¬lungshilfe für den Weg in die Individuation. Es geht darum, dem Auf¬keimen tief in uns angelegter Strukturierungs-Möglichkeiten — auf Fortschritt und Verwandlung hin — Bahn zu schaffen“. Die Begleiterin und die Begleitete sitzen an einem Tisch, auf dem ein Zeichenbrett mit aufgespannten Din A1 Zeichenblatt und ein Stück Pittkreide liegen. Nach einem kurzen Einführungsgespräch darf die zu Begleitende ihre Augen schließen. Die Begleiterin leitet eine kurze Leibspürübung an (Meditation). Dann darf die zu Begleitende zunächst mit ihren Händen und Unterarmen ins Tasten gehen. Sie darf wahrnehmen, dass sie das Papier und das Brett berührt und gleichzeitig vom Papier und Brett berührt wird. In all unserer Begleitungsarbeit geht es zunächst, darum sich in seinem eigenen Leib zu spüren, sich im hier und jetzt über die Berührung durch das Medium wahrzunehmen. Aus diesem Berührtsein können dann, wenn dann auch die Kreide hinzugenommen worden ist, individuelle Bewegungs- und Gestaltungimpulse aufs Papier fließen. Dieser Prozess kann in der Einzelstunde 20-30 Minuten betragen. Im anschließenden Gespräch geht es dann um das Aussprechen von dem, was innerlich, seelisch, leiblich und geistig erlebt wurde. Es sind sowohl Licht- wie Schattenerfahrungen, die zur Sprache kommen. Im Laufe eines längeren Prozesses kann sich eine tiefere Sinn-Ausrichtung einstellen.

Was geschieht und wie wirkt sich die christlich-initiatische Arbeit aus? Ich habe am Ende einer Ausbildungsgruppe einmal die Frage gestellt, was sie in den 5 Jahren der Ausbildung gelernt haben.

Dazu drei Rückmeldungen:

  1. Für mich sind Rituale auch sehr wichtig. Aber woran mache ich meine Spiritualität im Alltag fest. Ich habe ein vollkommen anderes Standing bekommen. Ich bin schon lange Mitglied von Greenpeace. Früher habe ich Greenpeace passiv unterstützt, jetzt stehe ich dafür auf dem Markt. Auch in Diskussionen habe ich ein anderes Standing. Ich lasse inzwischen auch meine Wut raus (Bereinigung). Diese Seite ist durch die Arbeit wachgeküsst worden. Ich begegne mir im anderen, wenn ich einem Penner begegne, gebe ich ihm innerlich keine Handlungsanweisungen mehr, was er zu tun hat, sondern ich sehe in ihm den Menschen. Ich begegne, berühre Menschen anders. Ich berühre Menschen. Ich mache Spiritualität nicht mehr an Meditationszeiten fest, habe aber inzwischen das Bedürfnis zu meditieren. Menschen sind schon eine Wundertüte. Wir erlangen unsere Würde von Gott und können unsere eigene Würde weitergeben an andere.

  2. Ich bin seit vielen Jahren mit dem Benediktshof verbunden. Ich habe mich in der Ausbildung gut geleitet gefühlt. Mit Abschluss des Kurses, habe ich mich gefragt, wie geht es mit mir weiter, was ist der initiatische Weg. Und ich habe mich auf dem Weg führen lassen. Ich habe eine Grundorientierung in mir entdeckt, die ich nicht durch rationale Entscheidungen ändern kann. Diese Grundhaltung hat mich dazu geführt, dass ich intensiv meditiert habe, ein Diätprogramm gemacht habe und entsprechende Literatur gelesen habe. Das hat zu einer zunehmenden Achtsamkeitshaltung geführt. Zu einer besonderen Haltung, die mich ganzheitlich erfasst. Dabei ist der Atem besonders wichtig. Manchmal lege ich meine Hand auf eine Tischplatte und nehme einfach nur wahr. Diese Haltung weitet sich aus. In mir entsteht eine klarere Haltung und ich leide nicht mehr so sehr unter verlogenen Strukturen.

  3. Ich bin politisch viel wacher geworden. Ich bin schon lange Mitglied von Amnesty International. Ich sehe deutlicher, wo der Hase im Pfeffer liegt. Früher habe ich diskret den Mund aufgemacht. Jetzt mache ich ihn auch laut auf (Jesu Tempelreinigung). In meiner Arbeit fragen und suchen meine Klienten mehr die spirituelle Erfahrungsebene an. Sie möchten mehr meditieren. Es gibt in mir eine größere Sicherheit, mit der ich mich spontaner zeige. Bei auftretenden Fehlern kann ich dazu stehen.

Intention und Aufgabe des Benediktshofes

Claus Eurich spricht davon, dass unser derzeitiges Bildungssystem nur darauf ausgerichtet ist, dass wir lernen, in unserer Wettbewerbswelt gut zurecht zu kommen. Er wünscht sich Orte mit einer Besinnungskultur, an denen es möglich ist, dass sich das Schweigen und die Stille einstellen kann, in der sich in uns unsere noch nicht entwickelten Möglichkeiten langsam entwickeln können, ohne dass wir durch Worte konditioniert werden. Aus dem Benediktshof ist ein solcher Ort geworden. Sein großes Beziehungsnetz trägt den Benediktshof innerlich und auch die konkrete Hofstelle. Bei der Vorbereitung dieses Vortrages ist mir deutlich geworden, dass die damalige Vision, dass der Benediktshof ein solcher Ort wird, sich eingelöst hat. Vielleicht fiel es mir deshalb so leicht, den ersten Vorsitz des Trägervereins und meinen Platz im Vorstand freizugeben. Gleichzeitig ist mir die Intention und der Auftrag des heutigen Benediktshofes richtig deutlich geworden. Der Benediktshof ist ein Beziehungsraum, in dem es möglich ist zu lernen, aus der uns innewohnenden Quelle zu leben, die in uns angelegten Möglichkeiten zu entfalten und mitzuwirken, an einer möglichen Welt, in der die Erde wieder aufatmen und sich erholen kann und in der die Menschen in Freiheit und Frieden miteinander leben.

Benediktshof, 04.11.2021

Christoph Gerling

Es handelt sich hier um mein Skript. Einige Passagen sind direkt oder frei vom Vortrag: Wir ist Kommunikation, von Claus Eurich übernommen. Sie sind im Einzelnen nicht gekennzeichnet.