Gedanken zum Advent
Der Mensch braucht Zeit – sehr viel Zeit. Zeit um zu werden und zu vergehen, Zeit zum Wachsen, Zeit zum Lernen, Zeit zum Vergessen, Zeit für sich selbst, Zeit für seine Mitmenschen, Zeit für Gott und Zeit um zu Lieben. Die Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden. Eine ähnliche Liste findet sich im dritten Kapitel des Buchs Kohelet.
Alle Religionen und auch die Christen haben das Thema Zeit stets ernst genommen. Vom Judentum übernommen haben wir die Einteilung der Zeit in Jahre, Monate und Wochen. Unsere Woche allerdings hat einen anderen Akzent. Sie endet nicht mit dem Ruhetag, sondern beginnt mit einem Fest-, mit dem Sonntag. Schon hier also vermischt sich die am Lauf der Gestirne abgelesene Zeit mit der Zeit des Heils. Zusätzliche Zeitspannen, heilige Zeiten unterbrechen immer wieder die messbare Zeit. 40g Tage gönnen wir uns für die Vorbereitung auf Ostern, 24 Tage, um uns auf das Weihnachtsfest einzustimmen. Wir brauchen Zeit, viel Zeit, um das Unbegreifliche feiern zu können, um in ein unaussprechliches Geheimnis einzutauchen. Im Grunde feiern wir schon vor dem Weihnachtsfest eine mehrwöchige Festzeit.
Bei einem gelungenen Fest sind die Feiernden ohne Vorsatz und ohne Stress wie von selbst dabei. Sie vergessen alles andere. Wenn es gut geht, sind sie ganz gegenwärtig. Das können wir Christen.
Dabei sind wir manchmal laut und singen unsere Lieder, als wären es Hymnen. Manchmal aber auch sind wir in aller Stille ganz in einen Augenblick versunken. Der gefeierte Glaube führt uns mitten hinein in die Gegenwart. Wir begegnen Gott nicht gestern und nicht morgen, wir begegnen ihm heute.
Gott aber wäre nicht Gott, wenn er im Heute aufgehen würde. Gott wäre nicht Gott, wenn er sich in unser Heute einsperren ließe. Er öffnet unsere Gegenwart. Er gibt uns Zukunft. Er ist unsere Zukunft – unser Advent. Hinter den 24 Türen, die wir in diesen Tagen öffnen, finden wir 24 Mal Gott. An jeden Tag erscheint er uns in einer anderen Gestalt, mal als treffendes Wort der Schrift, mal als der liebevolle Blick, die liebevolle Geste eines Menschen, mal in einem Armen, mal im Sternenhimmel und mal in der Musik.
Gott wird Mensch. Seitdem braucht nicht nur der Mensch viel Zeit, sondern auch Gott braucht Zeit – sehr viel Zeit. Er nimmt sich diese Zeit, um mit uns zu feiern, um unter uns ganz gegenwärtig zu sein. Treten wir durch die 24 Türen ein in die Gegenwart Gottes.
(P. Marcel Albert OSB)